Wissen

Wissen

Was ist eigentlich Wissen und warum ist es so wichtig?

Das Managementdenken des 20. Jahrhunderts war geprägt durch die wissenschaftliche Betriebsführung nach Frederick Taylor. Mit arbeitsteiligen Organisationsmodellen wurden beachtliche Erfolge erzielt und die Produktivität in der produzierenden Industrie, in der Landwirtschaft, im Bergbau, der Bauwirtschaft und im Transportwesen kontinuierlich gesteigert.  Der Wohlstand in den entwickelten Ländern basierte auf dem effizienten Einsatz der klassischen Produktionsfaktoren Grundbesitz, Kapital und Arbeit.

Es lag nicht im Interesse der  wissenschaftlichen Betriebsführung, jeden Funken Intelligenz zu mobilisieren, sondern lediglich die notwendige Intelligenz und Energie, um eine bestimmte Aufgabe zu erledigen.[Crainer – Managementtheorien] [5].

Konosuke Matsushita, der Begründer des gleichnamigen japanischen Elektronikriesen stellte Ende der Achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts fest, dass westliche Unternehmen, im Gegensatz zu den Japanischen, nach wie vor auf dem Modell von Taylor beruhen und, noch schlimmer, es in ihren Köpfen drin ist: Das Denken ist den Chefs überlassen, während die Arbeiter mit dem Schraubenzieher hantieren.  Das Unternehmertum ist heute jedoch so komplex und schwierig, dass der Erfolg und der  Fortbestand von der tagtäglichen Mobilisierung jedes Fünkchens Intelligenz abhängt.

 

Wissensgesellschaft

Der Beginn des 21. Jahrhunderts ist geprägt durch weitreichende Veränderung der sozialen und wirtschaftlichen Strukturen. Durch die Implementierung von weltweiten Kommunikationsnetzen entstand ein „globales Dorf“, das es uns ermöglicht, in Sekundenschnelle Daten und Informationen rund um den Erdball auszutauschen. Die (industrielle) Entwicklung seit Erfindung der Dampfmaschine lässt sich in vier sogenannte Kondratieff-Zyklen unterteilen, die jeweils durch eine Basisinnovation eingeleitet wurden. Nach dem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der erste Zyklus durch die Dampfmaschine geprägt war, waren anschließend die Verbreitung der Eisenbahnen, der Stromerzeugung und schließlich des Autos sowie der Flugzeuge und Kunststoffe prägend.

Durch die Innovationen der  Informations- und Kommunikationstechniken wurde der jüngste, somit fünfte Zyklus initiiert. Wir befinden uns also im Informationszeitalter. Peter Drucker, gebürtiger Wiener und geistiger Vater des modernen Managements,  schrieb 1988, dass Unternehmen gar keine andere Wahl haben werden, als sich zu informationsbasierten Organisationen zu entwickeln [Peter Drucker – New Organisation] [1].  In der Informationsgesellschaft wird Wissen zum ultimativen Produktionsfaktor und zur knappsten aller Ressourcen erhoben.

„Wissen ist damit die Ressource des Individuums wie auch der Gesellschaft.
Grundbesitz, Arbeit und Kapital  – für einen Ökonomen die traditionellen Produktionsfaktoren – sind zwar nicht verschwunden, aber zweitrangig geworden.“
[Peter Drucker – New Society][2]

Natürlich arbeiten wir schon seit langer Zeit wissensbasiert. Der Bäcker von nebenan verfügt über das notwendige implizite und explizite Wissen um täglich die besten Semmeln herzustellen. Könnten wir da nicht behaupten, dass wir ohnehin schon seit langem in einer Wissensgesellschaft leben?

Fertigkeiten unterliegen eher einem langsamen Wandel.  In der sich etablierenden Wissensgesellschaft kommt es dagegen zu einem sich dramatisch beschleunigenden Alterungsprozess von Wissen. Peter Drucker geht davon aus, dass alle vier bis fünf Jahre neues Wissen erworben werden muss, um nicht überflüssig zu werden. Konnte ein Bäcker früher über Jahrezehnte mit seinem Wissen und seinen überlieferten Rezepten die besten Semmeln backen, so bedürfen Produkte, deren Wert sich hauptsächlich aus deren eingebauten Intelligenz ableitet, einer kontinuierlichen Innovation und Verbesserung. Nur so kann sichergestellt werden, dass diese Produkte für die potentiellen Käufer attraktiv werden und auch bleiben. Ja selbst dem Bäcker wird es heute nicht erspart bleiben, regelmäßig zu entlernen und seinen Produktionsprozess und seine Rezeptur zu überdenken und weiterzuentwickeln. In einer Wissensgesellschaft konzentriert sich die Verwendung von Wissen nicht mehr auf altes, sondern auf neues, kontinuierlich überprüftes und revidiertes Wissen.

Ein zweites Merkmal der Wissensgesellschaft ist die Tatsache, dass Wissen nicht mehr örtlich gebunden ist. Durch die Nutzung der transnationalen Informationsstrukturen können Wissen und Information über Tausende von Kilometern in kürzester Zeit ausgetauscht, angefordert oder eingekauft werden. Natürlich konnte ein Bäcker auch schon vor hundert Jahren im Rahmen seiner Wanderjahre die Rezepte anderer Bäcker in seinen Wissensschatz aufnehmen. Aber es ist wohl offensichtlich, dass diese neuen Kommunikationsmethoden und Werkzeuge des Informationszeitalters bei weitem umfangreichere Möglichkeiten des Wissens- und Erfahrungsaustausches hinsichtlich Umfang und Geschwindigkeit bieten als jene der Vergangenheit.

Um sich mit der Ressource Wissen, ihrem Wert, ihrem optimalen Einsatz und ihren Auswirkungen und Bedeutungen für ein erfolgreiches Unternehmen weiter beschäftigen zu können, ist es nötig den Begriff Wissen und dessen Eigenschaften näher zu untersuchen.

Definition von Wissen

Eine weitverbreitete Unschärfe besteht in der Verwendung der Begriffe Daten, Information und Wissen. Waren früher Informationen oft Mangelware, so ist unser Informationszeitalter gekennzeichnet durch einen unglaublichen Overload an Daten und Informationen, die über uns hereinbrechen. Manager treffen heute Entscheidungen unter einem Zuviel an Daten, die sie nicht alle für sich in Information oder gar Wissen verarbeiten können.  [Stefan Güldenberg – Wissensmanagment][3]

Diese Begriffe werden immer wieder gleichbedeutend verwendet und sorgen so für Verwirrung oder werden sogar bewusst fälschlich verwendet. Darum ist eine Definition der Begriffe Daten, Information und Wissen notwendig.

Daten

Daten bestehen aus einzelnen Zeichen-, Signal- und Reizfolgen und sind potentiell wahrnehmbar und verwertbar. Daten sind aber noch nicht interpretiert. Daten können etwa Buchstaben und Zahlen (z. B. C, 13 , 1) oder aber auch rotes und grünes Licht einer Ampel sein. [North – Unternehmensführung][4]

 

Informationen

Informationen entstehen aus Daten, die zueinander in Bezug gesetzt werden und für den Empfänger von Bedeutung sind (z. B. 13 ° C Außentemperatur).  Informationen sind somit Daten die in einem Relevanzkontext stehen.[3]  Aus der Tatsache, dass es keine Relevanzen an sich gibt, sondern Relevanzen immer systemabhängig sind, folgt, dass Informationen immer nur systemrelativ, also empfängerorientiert sind.[Wilke – Wissensmanagement]
Daten, die für einen Betrachter wertvolle Informationen darstellen, bleiben für einen anderen Betrachter wertloser Datenmüll, weil der diese Daten nicht in seinen Bedeutungskontext einbetten kann, sie nicht mit bestehenden Informationen in Bezug bringen kann.

Wissen

Wissen entsteht durch den Einbau von Informationen in unseren Erfahrungskontext. [Wilke – Wissensmanagement] Bereits vorhandenes Wissen, Erfahrungen und Erwartungen  werden mit den neu aufgenommenen Informationen zu neuem Wissen vernetzt. Wissen kann nur entstehen, wenn ein Praxisbezug hergestellt werden kann. Im Unterschied zu Informationen steigt der Wert von Wissen durch dessen häufigen Gebrauch. So sinken die Preise für Internetdienste und auf Informationsmärkten, während die Preise für Wissensträger (IT-Experten, Berater) steigen.

Die große Bedeutung des individuellen Kontextes, in dem Informationen und Wissen aufgebaut werden, zeigt, wie schwierig es ist, Informationen oder gar Wissen auszutauschen oder festzuschreiben. Die Weitergabe von Wissen wird angesichts der subjektiven Relevanzkriterien und Erfahrungskontexte zu einem  äußerst schwierigen Unterfangen.

North beschreibt anhand seiner Wissenstreppe, dass es mit dem Wissen alleine noch nicht getan ist:

“Der Wert des Wissens wird für ein Unternehmen nur dann sichtbar, wenn das Wissen (Wissen WAS) in ein Können (Wissen WIE) umgesetzt wird, das sich in entsprechenden Handlungen manifestiert“
[Klaus North – Unternehmensführung]4]

 

Wissenstreppe von Nortz

Wissenstreppe von North

Es genügt also nicht etwas zu Wissen, sondern man muss auch die Fähigkeiten besitzen oder lernen, wie dieses Wissen erfolgreich angewendet und in Handlungen umgesetzt werden kann.

Das  Handeln erfolgt aber nur dann, wenn neben den Fähigkeiten auch der Wille dafür vorhanden ist.

„Können und Wollen sind entscheidend für das Ergebnis und führen beide zusammen letztendlich zur Wertschöpfung. Das Handeln liefert messbare Ergebnisse wie eine Person, eine Gruppe, eine Organisation aus Informationen Wissen generiert und dieses Wissen für Problemlösungen anwendet“[1]

 

Unter Kompetenz versteht man die Fähigkeit einer Person oder Organisation, ihr Wissen zweckorientiert zur Lösung von Problemen einzusetzen.

Die Wertbewerbsfähigkeit ergibt sich schließlich aus den Kernkompetenzen einer Organisation.  Die Kernkompetenzen eines Unternehmens ergeben sich aus Verknüpfung der vielen Einzelkompetenzen einer Organisation und ihrer Mitglieder. Sie sind nicht leicht imitierbar und transferierbar, verschaffen einen Mehrwert beim Kunden, sind einzigartig unter Wettbewerbern und verschaffen Zugang zu neuen Märkten.

 

Wissensarten

Es wurde schon angedeutet, dass es verschiedene Arten von Wissen gibt. Ein klassische Unterscheidung von Wissen geht auf Michael Polanyi (1958) zurück. Er unterscheidet dabei zwischen implizitem und explizitem Wissen.

Implizites Wissen

Implizites Wissen ist jenes Wissen, dass Personen oder Systeme aufgrund ihrer Erfahrungen und Eindrücke, ihrer mentalen Modelle  und  ihres Lernens angesammelt haben. Die „Besitzer“ von implizitem Wissen können Personen, aber auch Organisationen bzw. Organisationseinheiten sein.[6]

Dieses Wissen ist in den Köpfen von Personen oder in Strukturen, Regeln und Prozessen von Organisationen gespeichert und bildet die Basis unserer Handlungen. Eine Person oder Organisation muss sich dieses Wissens nicht bewusst sein, sondern verwendet es intuitiv in ihren Handlungen.[7]

Ein wesentliches Charakteristikum von implizitem Wissen besteht darin, dass es sehr schwer in formaler Sprache aus- und weiterzugeben ist, also nicht beliebig reproduzierbar ist.

Explizites Wissen

Explizites Wissen dagegen ist formuliertes, ausgesprochenes und dokumentiertes, also expliziertes Wissen.[7] Es kann auch mit Hilfe von modernen Informationstechnologien verwaltet, vervielfältigt und verteilt werden.[4]

Auch bei explizitem Wissen kann es sich um persönliches oder organisationales Wissen handeln. Auf die Frage, in wie weit man bei expliziertem Wissen aufgrund der zuvor diskutierten Wichtigkeit der Kontexte noch von Wissen sprechen kann, soll hier nicht im Detail eingegangen werden.

Nicht unerwähnt bleiben sollen hier die Erkenntnisse von Nonaka und Takeuchi, die sich mit den Übergängen zwischen explizitem und implizitem Wissen beschäftigt haben und die „Spirale der Wissensentwicklung“ geprägt haben.

 

Wissenspirale nach Nonaka, Tackeuchi

Ausgangspunkt der Wissensspirale ist das Wissen eines einzelnen Mitarbeiters. In der Phase der Sozialisation, dem Austausch von implizitem Wissen, werden z. B. Fähigkeiten und mentale Modelle an andere Personen weitergegeben. Beispiele dafür sind die traditionelle Meister/Lehrling-Beziehung und Mentoren-Modelle.

In der Phase der Externalisierung  (von implizit zu explizit) wird Wissen z. B. durch Dialog der Mitarbeiter oder kollektives Nachdenken für alle dokumentiert.

Durch Kombination wird aus bereits bekanntem, explizitem Wissen, neues Wissen generiert. In dieser Phase können z. B. neue Methoden und Prototypen oder  neue Geschäftsideen entstehen.

In der Phase der Internalisierung wird expliziertes, dokumentiertes Wissen aufgenommen und durch die Einbettung in vorhandene, eigene Wissensbestände und Kontexte zu neuem, implizitem Wissen vernetzt. Dieser Prozess ist nahe verwandt dem learning by doing.

Die Schwierigkeiten sind dabei einerseits die Übergänge von implizitem zu explizitem Wissen und andererseits die Vergemeinschaftung von Wissen, also der Übergang von personenbezogenem, individuellem Wissen zu organisationalem Wissen. Durch die Externalisierung werden vorerst nur Daten erzeugt, die als potentielles Wissen verstanden werden können. Erst wenn diese Daten in einen Relevanzkontext und einen Praxisbezug eingebettet werden können, entsteht Wissen.

Organisationales Wissen

Für Willke steckt organisationales Wissen oder institutionelles Wissen „in den personen-unabhängigen, anonymisierten Regelsystemen, welche die Organisationen eines Sozialsystems definieren. Vor allem sind dies Standardverfahren, Leitlinien, Kodifizierungen, Arbeitsprozess-Beschreibungen, etabliertes Rezeptwissen für bestimmte Situationen, Routinen, Traditionen, spezialisierte Datenbanken, kodiertes Produktions- und Projektwissen und die Merkmale der spezifischen Kultur einer Organisation.“[7]

Güldenberg definiert die organisationale Wissensbasis als jenes Wissen, das für die gesamte Organisation „prinzipiell verfügbar“ ist.[3] Die organisationale Wissensbasis kann demnach aus schriftlich niedergelegtem, expliziertem Wissen in Form von Büchern, Dokumentationen, Datenbanken oder ähnlichem bestehen. Aber auch allgemein bekannte, informelle Muster und Verhaltensweisen und sogar individuelles Wissen einer einzigen Person können Teil der organisationalen Wissensbasis sein, wenn alle anderen Mitglieder der Organisation dieses Wissen erreichen können und es nicht den Theories of Action, also allgemeinen Handlungstheorien, der gesamten Organisation widerspricht.[3]

Im Gegensatz zu individuellem Wissen ist die organisationale Wissensbasis unabhängiger von einzelnen Personen und kann vom Mitbewerb nicht einfach kopiert werden. In ihr spiegeln sich auch die Kernkompetenzen einer Organisation und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit wider. Die organisationale Wissensbasis stellt also einen enormen Wert für ein Unternehmen dar.

 

[1] Vgl. Drucker (New Organization): S. 145

[2] Drucker (New Society): S. 163f

[3] Vgl. Güldenberg (Wissensmanagement): S. 154

[4] North (Unternehmensführung): S. 42

[5] Vgl.  Crainer (Managementtheorien): S. 22

[6] Vgl. Zucker (Wissen gewinnt): S. 46

[7] Vgl. Willke (Wissensmanagement): S. 13

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Norbert Karner administrator

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